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Beim
Musikschaffenden entsteht jeder Ton seines Musikwerkes auf der Ebene
der absoluten Tonsubstanz, und dies bedeutet praktisch, dass im musikalischen
Entstehungsprozess einer Komposition alle Töne jenseits von Raum
und Zeit im absoluten Jetzt unmittelbar aufeinander bezogen sind.
Denn die Urschwingung der absoluten Tonsubstanz in seinem Geiste garantiert
dem Musikschöpfer in seinem dynamischen musikalischen Schaffensprozess
die Realität dieses absoluten Jetzt – der absoluten Gleichzeitigkeit,
der vollkommenen Aufeinanderbezogenheit aller musikalischen Parameter
– ohne irgendeine trennende Brücke von Raum und Zeit.
Innerhalb
dieses integrierten Feldes der vollkommenen musikalischen Beziehungen
lokalisiert der Hörer später dann auch die Welt der Harmonie.
Erheben sich
die Töne aus der absoluten Tonsubstanz und dringen zu den integrierten
Beziehungsräumen von Raum und Zeit vor, dann entsteht das musikalische
Kräftefeld der Sequenzen – welche sowohl jenseits von Raum und
Zeit in der Harmonie verankert sind, die sich gleichzeitig aber auch
in einem integrierten Raum-Zeit-Verhältnis im Feld der räumlichen
und zeitlichen musikalischen Evolution entfalten.
So nehmen
die Sequenzen in der musikalischen Komposition zwischen der im absoluten
Jetzt fließenden unendlichen Harmonie und den im Felde von Raum
und Zeit sich bewegenden Motiven eine vermittelnde Stellung ein. Dabei
tragen die Sequenzen die Qualitäten des absoluten Jetzt unermüdlich
in die musikalische Welt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
So entfalten
sie – von der absoluten Ebene der Harmonie her – über ihre Kinder,
die Motive, im musikalischen Tonraum die Sphären der klingenden
Musik.
Beim tonalen
Erfassen des Musikwerkes kommt es sehr darauf an, dass die Schwingung
der absoluten Tonsubstanz vom Hörer im Musikwerk lokalisiert wird.
Und dieses Erkennen wird dadurch begünstigt, dass schon der Musiker
das klingende Musikwerk unmittelbar auf dieser kosmischen Schwingung
aufbaut.
Nur die Erkenntnis
der absoluten Tonsubstanz ermöglicht uns Hörern die persönliche
Einsicht in die inneren musikalischen Erkenntnisfelder.
Die Wahrnehmung
der absoluten Tonsubstanz auf der Ebene des Geistes stellt für
den Musikschaffenden, aber auch genausogut für uns Musikhörer
den goldenen Zauberschlüssel zur musikalischen Erkenntnisgewinnung
dar.
Und wer einmal die Erfahrung der absoluten Tonsubstanz gemacht hat,
der weiß, dass dieser Schlüssel sehr praktischer Art ist.
Die Erkenntnis
der absoluten Tonsubstanz, das bedeutet: die Identifikation des individuellen
Geistes mit der umfassenden Grundschwingung der Harmonie beziehungsweise
mit der Grundschwingung des kosmischen Denkens, versetzt unseren Geist
in die Lage, integriert zu analysieren und zu synthetisieren-integriert
zu verstehen und zu fühlen – und so die inneren musikalischen Erkenntnisfelder
der Motive und Sequenzen, aber auch diejenigen der Töne und das
unendliche Feld der Harmonie gleichzeitig – sowohl innerhalb von Raum
und Zeit als auch jenseits von Raum und Zeit – zu erfahren und zu erfassen.
Außerdem
regt die Wahrnehmung der absoluten Tonsubstanz unseren Intellekt wie
auch unseren Gehörsinn an, mit dieser vollkommenen Grundschwingung
der Harmonie zu schwingen, und erzeugt so in diesen unseren Erkenntniswerkzeugen
einen Zustand der ruhevollen Wachheit.
Diese ruhevolle
Wachheit wiederum versetzt sowohl unseren doppelt erkennenden Intellekt,
unseren fühlenden und unseren verstehenden Intellekt, als auch
unseren Gehörsinn in die Lage, den musikalischen Sinn unmittelbar
zu erfassen und zu erleben.
Sie ermöglicht es unseren Erkenntniswerkzeugen, sowohl auf der
Ebene des absoluten Jetzt – also jenseits von Raum und Zeit – und genausogut
innerhalb von Raum und Zeit – also im relativen Gestern, Heute und Morgen
– den musikalischen Entwicklungsprozess als vielfältige Einheit
zu erfahren.
Die ruhevolle
Wachheit ermöglicht unseren Erkenntniswerkzeugen jedoch auch ein
Schauen der musikalischen Wahrheitsentfaltung aus dem Abstand heraus,
indem sowohl unser Intellekt als auch unser Gehörsinn den relativen
Prozess der musikalischen Entfaltung aus ihren eigenen erhöhten
Erkenntnisbereichen des absoluten Jetzt heraus erkennen, so, wie ein
Taucher vom Meeresgrund aus – aus der Stille heraus – die Wellen der
Wasseroberfläche schaut, ohne dabei selbst von dem Wellengang berührt
zu werden.
Erst die
Integration der tiefen Stille und der vollständigen Belebung, welche
die Wahrnehmung der Grundschwingung der absoluten Tonsubstanz den musikalischen
Erkenntniswerkzeugen ermöglicht, versetzt uns Hörer in die
Lage, die inneren Kräftefelder der Musik – welche wohl schwingen,
nicht jedoch klingen – auf einer höheren Erkenntnisebene als derjenigen
des Tons zu erfassen.
Zum Bereich
der reinen musikalischen Wirklichkeitserfassung zählen: das äußere
Hören, das innere Hören und dabei: das (innere) Erkennen der
musikalischen Parameter: Ton, Motiv, Sequenz, Harmonie.
Das Erkennen dieser musikalischen Parameter geschieht in bezug auf den
musikalischen Tonraum durch unser inneres Gehör und in bezug auf
den Motivraum, den Sequenzraum und den Harmonieraum mittels unseres
Intellekts, mittels unseres Gefühls und unseres Verstandes.
Die äußere
Wahrnehmung betrifft unser Wahrnehmen der Töne im akustischen Raum,
also die Wahrnehmung des von außen an uns Hörer herangetragenen
Musikereignisses.
Das strukturelle
Erfassen des musikalischen Tonraums mit unserem inneren Gehör ist
an die Klarheit der Abbildung des Tons in unserem Geiste gebunden und
ist demnach erst einmal von der Funktionsfähigkeit unseres Geistes
abhängig.
Es ist aber auch abhängig von der sensiblen Wahrnehmungsfähigkeit
unseres inneren Gehörsinns – von dessen Wachheit.
Das strukturelle
Erfassen des musikalischen Motivraums ist von einer noch exakteren Geistesfunktion
abhängig; denn diese bestimmt ja die Genauigkeit der tonal-strukturellen
Abbildung, welche die Motivabbildungen enthält.
Sodann ist
das Erfassen des musikalischen Motivraums von der Erkenntnisfähigkeit
unseres Intellekts abhängig, denn dieser ist es, welcher mit Hilfe
unseres analysierenden Verstandes im Motivraum die Motiventfaltungen
ermittelt und mit Hilfe unseres synthetisierenden Gefühls diese
Motiventfaltungen als zusammenhängende Melodie erkennt – als Einheit
der Motiventwicklung.
Das strukturelle
Erfassen des musikalischen Melodieraumes basiert auf einer noch leistungsstärkeren
Geistesfunktion; denn zum Erfassen der Melodie muss die Tonstruktur
auf unserer Geistesoberfläche noch genauer abgebildet sein, und
die Tonparameter müssen in ihrem Aufeinanderbezogensein vollständig
erkannt werden, damit wir die vielfältigen verschiedenen Motiventwicklungen
ganzheitlich erfassen können – als Einheit und gleichzeitig als
voneinander Unterschiedenes.
Erst das
differenzierte und gleichzeitig integrierte Erfassen der Motiventwicklungen
mit Gefühl und Verstand ermöglicht das Erkennen der Melodien
und bedeutet dann: das musikalische Erfassen der Abbildung eines individuellen
Lebensweges.
Streben wir
jedoch an, in der Musik mehrere Lebenswege gleichzeitig zu erfassen,
so müssen wir dies von einer höheren Erkenntnisstufe aus vornehmen;
denn wir müssen nicht nur einen einzigen dargestellten individuellen
Entwicklungsgang erkennen und erleben, sondern mehrere bis viele gleichzeitig.
Und der geheimnisvolle
Reiz dieser musikalischen Erkenntnisstufe liegt nicht so sehr im nur
äußeren Betrachten oder Verstehen von charakterlichen Entwicklungen
sowie von darauf aufbauenden Lebenswegen, sondern er liegt ganz besonders
in dem persönlichen gleichzeitigen Erleben vieler verschiedener
Wege der individuellen menschlichen Vollendung.
In den Musikräumen
der Sequenzen können wir die Erfahrung machen, ganz verschiedene
Leben gleichzeitig zu durchleben und dabei persönlich ganz verschiedene
Lebenswege gleichzeitig zu beschreiten – als ein und derselbe können
wir uns in unserem Erleben gleichzeitig in ganz unterschiedlichen Körpern
und unter Anwendung ganz verschiedener Verhaltensmechanismen bewegen.
Die Welt
der Harmonie jedoch bietet uns das persönliche Erlebnis einer unendlichen
Vielfalt gleichzeitig miteinander gelebter Leben, welche sich vor unserem
geistigen Auge und innerhalb unseres gesamten Empfindens bewegen wie
leuchtende Gestirne auf freien Bahnen.
Und jedes dieser Gestirne sind wir selbst; und jede einzelne Bahn ist
unser eigener ganz individueller Lebensweg; und dieses Erleben ist in
diesem höchsten Stadium unseres Musikhörens, unserer musikalischen
Wahrheitserkenntnis, unsere ganz persönliche Wahrheit.
Mit seinem
Musikwerk verbindet der klassische Tondichter eine ganz bestimmte Absicht:
er will seinen Hörer schrittweise mit der befreienden Welt der
Selbstbewusstheit bekannt machen; und er erreicht dies, indem er den
musikalischen Fortgang so gestaltet, dass sein Hörer schrittweise
– vom musikalischen Tonraum ausgehend – über die Motiv- und Sequenzräume
in den unendlichen Raum der Harmonie geführt wird.
Hat der Hörer
diesen unbegrenzten Musikraum der Harmonie erreicht, so ist er auch
gleichzeitig bei sich selbst angelangt und hat die dynamische musikalische
Fülle seiner eigenen Selbstbewusstheit lokalisiert.
Der Zweck
des klassischen Musikwerkes liegt also in der Verherrlichung der Selbstbewusstheit
– des natürlichen Schaffensfeldes der Tondichter; und die Absicht
des Musikschöpfers liegt darin, den Hörer mit der Erfahrung
der reinen Selbstbewusstheit bekannt zu machen. Hierzu bedient er sich
des Mittels der Musik.
Deshalb verfolgt
der Musikschaffende einen ganz unbeirrten Weg. Er führt den Hörer
durch die Schönheit der Welt und bringt ihm die Harmonie, nach
welcher die Welt ursprünglich geordnet ist, näher. |
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